Neue offensive Taktik (nicht nur) der NATO-Piratenjäger

Jetzt wird – häppchenweise und ein wenig verklausuliert – bestätigt, was ich in den vergangenen Tagen schon vermutet hatte. Die internationalen Seestreitkräfte am Horn von Afrika, insbesondere die NATO, fahren eine neue, wesentlich härtere Taktik gegen die Piraten aus Somalia: Allein die Aussage NATO warships conducted a night-time strike on the known pirate lairs at sea, close to the coast (NATO-Kriegsschiffe führten einen nächtlichen Schlag gegen bekannte Piratennester zur See, nah an der Küste, durch – siehe Mitteilung unten) macht klar, dass sich hier etwas Grundlegendes im Vorgehen geändert hat.

Die neue Taktik hatte sich abgezeichnet, nachdem bekannt wurde, dass Soldaten der niederländischen Fregatte Tromp Anfang April bei einem Feuergefecht mit Piraten auf einem Mutterschiff zwei Seeräuber erschossen hatten. Anfang dieser Woche gab es die – verspätete und nur von den Dänen, aber bislang nicht von der NATO kommunizierte – Meldung, dass auch Soldaten des dänischen Mehrzweckschiffes Esbern Snare ein Mutterschiff frei schossen und drei Piraten verwundeten. In beiden Fällen wurde betont, die Soldaten hätten erst in Selbstverteidigung das Feuer eröffnet.

Mit einer Mitteilung der NATO von heute ist klar, dass die beiden Vorfälle in engem Zusammenhang stehen – und Teil einer konzertierten Aktion von Kriegsschiffen des Bündnisses gegen Piraten waren, bei der die Allianz auch auf die Unterstützung der Seestreitkräfte unter anderem Kommando zurückgreifen konnte. Zum Beispiel auf Überwachungsflugzeuge der EU-Antipirateriemission Atalanta und andere Nationen – insbesondere wahrscheinlich auf die Combined Task Force 151 der Combined Maritime Forces, eine von den USA ins Leben gerufene Einsatzgruppe.

(Foto: EUNAVFOR)

Die Mitteilung der NATO im Wortlaut – ein Datum wird darin zwar nicht genannt, aber aus dem Zusammenhang ergibt sich, dass die entscheidenden Ereignisse am 1. und 2. April stattfanden:

NATO Operation Delivers Severe Blow Against Armed Pirates

Earlier this month, NATO counter-piracy forces delivered a severe blow against armed pirates off the coast of Somalia by arresting 34 suspected pirates. The suspected pirates had previously been observed loading up their mother ships and skiffs with fuel and weapons in order to attack merchant ships further out to sea. In a well-planned operation, NATO warships conducted a night-time strike on the known pirate lairs at sea, close to the coast. As well as detaining the 34 suspected pirates, 34 innocent hostages, who had been held by the pirates, were freed unharmed by the NATO forces.

Recent months have seen an increase in pirate attacks, particularly in the northern Arabian Sea, and with the monsoon season coming to an end, and the weather improving, it was seen as crucial for counter-piracy forces to strike to help prevent pirates getting out to sea to prey on merchant shipping transiting the area.

Over an extended period NATO warships HNLMS Tromp, HDMS Esbern Snare and USS Halyburton, observed the known pirate camps, supported by Maritime Patrol and Reconnaissance Aircrafts from the EU Naval Force (EUNAVFOR) and various other counter piracy forces.

On Friday, as part of the focussed operation, crew from NATO warship HDMS Esbern Snare boarded a suspicious whaler and found it to be packed with fuel, AK47 machine guns, a ladder and rocket propelled grenades (RPGs) and 3 suspected pirates. The whaler and weaponry were seized by the warship, and after being questioned, the suspected pirates were taken to a nearby beach.

On Saturday HDMS Esbern Snare then approached a dhow that was suspected to be involved in pirate activity. As the Danish boarding team investigated, the pirates started firing at them, who then fired back in self defence. In the fire-fight several pirates were wounded and as a result, a medical team from NATO flag ship HNLMS Tromp was quickly sent to the scene to render medical assistance.

Shortly afterwards HNLMS Tromp spotted another suspect dhow heading for a known pirate camp and as she closed in to investigate, her boarding team was also fired upon. Gunners on board Tromp and the boarding team returned fire, setting fire to the dhow. Ten pirates tried to escape in a skiff, but were quickly captured. When a team from HNLMS Tromp went to the dhow to assist the innocent crew, they found 2 fatally wounded pirates on board. At the same time, a previously pirated merchant vessel – MV Albedo, lifted anchor and headed straight for the NATO flagship. After some well-aimed warning shots across her bow, Albedo returned to her anchorage. HNLMS Tromp then escorted the freed dhow and crew to safer waters.

On several occasions during the operation, the NATO warships surveyed the anchorages and the pirate beaches. They will continue to do so for the next few months.

Speaking after the operation, Rear Admiral Hank Ort, Chief of Staff at NATO’s Maritime HQ in Northwood said, “This operation has shown the pirates that we mean business and will not tolerate their criminal activities. By conducting this operation close to the shore we have been able to deprive some pirates of a safe passage back to their anchorages and deprive others of the opportunity to go out and attack innocent merchant ships. We are pleased with the success of this operation but we are not complacent as we know there is still much work to be done.”

(Hervorhebungen von mir, T.W.)

Unterm Strich: Die NATO – und möglicherweise auch die anderen beteiligten Seestreitkräfte? – haben einen aktiven Kampf gegen die Piraten begonnen. Um politische und rechtliche Probleme zu vermeiden, operieren sie haarscharf an der Wasserkante – bekannte Piratennester zur See, nah an der Küste meint formal gekaperte Schiffe mit Piraten, es soll offensichtlich nicht die Rede davon sein, dass das Bündnis auch an Land, in Somalia selbst, aktiv wird.

Die offene Ankündigung, auch in den nächsten Monaten die Strände und Ankerplätze im Auge zu behalten, ist eine Kriegserklärung an die Piraten. Dass die Seeräuber auf der riesigen Wasserfläche zwischen Somalia, der arabischen Halbinsel und dem indischen Subkontinent kaum zu orten sind und praktisch ungestört Jagd auf Handelsschiffe machen, will die NATO offensichtlich nicht länger hinnehmen – und die Piraten schon daran hindern, aufs offene Meer hinaus zu fahren.

Die heutige Mitteilung der NATO ist die bislang offenste Erklärung, dass sich etwas ändert im jahrelangen Kampf gegen Somalias Piraten. Ob die EU und die anderen ebenso offensiv vorgehen, scheint noch nicht klar – auch wenn vor ein paar Tagen ein finnisches Kriegsschiff unter EU-Kommando ein Piraten-Mutterschiff sicherte und anschließend versenkte. Ein Kriegsschiff der Combined Maritime Forces, dessen Nationalität nicht bekannt gegeben wurde, stürmte Anfang der Woche ebenfalls ein Mutterschiff.

Nachtrag: Auch die australische Marine hat ein Mutterschiff gestoppt – die Piraten ergaben sich, ohne dass ein Schuss fiel. Wie die NATO und die anderen verkaufen auch die Australier übrigens die Nachricht immer unter der Überschrift, dass Geiseln befreit worden seien… Die interessante Frage übrigens: in den vergangenen zwei Wochen dürften mehr als 50 Piraten direkt von ihren Mutterschiffen festgesetzt worden sein. Was passiert jetzt mit denen?

Und noch ein Nachtrag: Das FBI jagt Piraten, die für den Tod von US-Bürgern verantwortlich sein sollen, an Land in Somalia, berichtet das Wall Street Journal.

Nachtrag 3: Die somalischen Piraten agieren immer aggressiver, sagt auch das International Maritime Bureau.

Die neue Offensivtaktik ist vermutlich das Einzige, was den Piratenjägern bleibt. So lange sich an Land in Somalia nichts ändert.

(Ehe jemand fragt: Die Deutsche Marine, derzeit mit der Fregatte Niedersachsen am Horn von Afrika präsent, beteiligt sich mandatsgemäß an der EU-Operation Atalanta, nicht aber an der NATO-Operation Ocean Shield.)