RC N Watch: Operation in Gor Tepa – der deutsche Blick

Der vorgestern veröffentlichte Bericht über die gemeinsame Aktion von afghanischen, amerikanischen und deutschen Soldaten in der Region Gor Tepa (auch: Gor Tapa, Gour Tapa) bei Kundus zwischen Weihnachten und Silvester interessiert meine Leser ganz offensichtlich… Mit freundlicher Genehmigung des Autors Marco Seliger veröffentliche ich hier den kompletten Text. (Zur amerikanischen Sicht, und auch zu den Anmerkungen des Verteidigungsministeriums zu dem Bericht, findet sich hier mehr.)

Operation Hopeful Valley

Bundeswehr, US-Armee und afghanische Sicherheitskräfte haben in einer Militäroperation zwischen Weihnachten und Silvester weitere Gebiete der Provinz Kundus von den Taliban zurück gewonnen. Dabei gingen konventionelle Streitkräfte gemeinsam mit Spezialkräften in einem Gebiet um die Ortschaft Gor Tapa nordwestlich von Kundus vor. In der Operation „Towse A Garbe II“ (engl. „Hopeful Valley“) wurden erstmals in der Bundeswehrgeschichte in einem Kampfeinsatz konventionelle Kräfte mit Hubschraubern ins Feindgebiet verbracht. Zwei US-amerikanische „Chinook“-Helikopter, die eine Transportkapazität von 40 Personen haben, schafften die deutschen Soldaten bei Nacht in das Einsatzgebiet. Dort sicherten die Infanteristen die Zufahrten einer Brücke für den Aufmarsch mehrerer hundert amerikanischer und afghanischer Kräfte auf dem Landweg. Bis Silvester wehrte der multinationale Kampfverband mehrere Angriffe erfolgreich ab, bis zu fünf Aufständische seien getötet worden. Dem Bundesverteidigungsministerium zufolge erlitt die deutsche Einheit keine eigenen Verluste. US-Spezialkräfte und Angehörige einer vom afghanischen Innenministerium autorisierten einheimischen Bürgerwehr (Afghan Local Police) haben Gor Tapa besetzt, um die Rückkehr der Taliban in die Region zu verhindern.

„Hopeful Valley“ gehört zu einer Reihe von Operationen, mit denen die Koalition (ISAF) über die Wintermonate die Initiative in den Aufständischengebieten um die Städte Kundus und Baghlan endgültig zurückgewinnen will. Damit setzt der für Nordafghanistan zuständige Regionalkommandeur, der deutsche Generalmajor Hans-Werner Fritz, seine Ankündigung vom Sommer um, auch in der kalten Jahreszeit „den Druck auf die Taliban“ aufrechterhalten zu wollen. In den vergangenen Jahren waren die Kämpfe aufgrund der Witterungsverhältnisse traditionell von Dezember bis Februar abgeflaut. „Wir nähern uns, was die Sicherheitslage angeht, einem Kulminationspunkt“, sagte Fritz Ende Dezember in einem Interview. „Damit meine ich, die Aufständischen haben begriffen, dass es ihnen wirklich an den Kragen geht.“ Ihre Reaktionen auf die Offensiven der Koalition, die stets mit afghanischen Armee- oder Polizeikräften stattfinden, fielen immer „rabiater, vermehrt auch verzweifelter“ aus. Dafür sprechen die Selbstmordanschläge auf Rekrutierungsstellen der afghanischen Armee sowie auf Polizeiposten in Kundus mit mehreren Todesopfern ebenso wie die Ermordung Gläubiger während eines Freitagsgebets in einer Moschee der Stadt im Dezember. Das Partnering-Konzept, der gemeinsame Einsatz von Koalitionstruppen und afghanischen Kräften, trägt ISAF-Sprecher Joseph Blotz zufolge im Raum Kundus/Baghlan „erkennbar Früchte“.

Gor Tapa gehörte zu den Gebieten in Kundus, in denen die Taliban gemeinsam mit ausländischen Kämpfern der Islamischen Bewegung Usbekistans (IMU) seit Jahren ungestört herrschten. Der mit Al-Qaida verbundenen Terrorgruppe gehören überwiegend arabische und zentralasiatische Kämpfer an, die den Taliban insbesondere beim Bau improvisierter Sprengsätze (IED) und beim Trainieren etwa von Hinterhalten helfen. Immer wieder gelingt es der Terrorgemeinschaft, wichtige Straßen, auf denen sich die Sicherheitskräfte bewegen müssen, zu verminen und Militärfahrzeuge anzusprengen. Den größten Teil ihrer Arbeit verbringen die Koalitionstruppen im Raum Kundus noch immer damit, IED an den Straßen zu beseitigen. Die Ost-West-Verbindung nordwestlich der Provinzhauptstadt (im militärischen Sprachgebrauch LOC Banana genannt) gilt seit Monaten als „vollständig vermint“ und nicht passierbar. Nicht zuletzt um diese für den zivilen und militärischen Verkehr bedeutende Straße wieder zu kontrollieren und von den Bomben zu räumen, dürfte es schon bald weitere Operationen in dem Gebiet gegen die Taliban geben. General Fritz kündigte an, den Soldaten im Einsatzgebiet stünden „harte Wochen und Monate bevor“, auch wenn die Erfolge des vergangenen Jahres zu „verhaltenem Optimismus“ Anlass gäben. Immer mehr Taliban streckten unter dem militärischen Druck der Koalition die Waffen, eine Entwicklung, von der sich zuletzt auch ISAF-Oberbefehlshaber David Petraeus „positiv beeindruckt“ gezeigt hat.

Bevor General Fritz die nächste Großoffensive befehlen kann, wird er allerdings den Kontingentwechsel bei den deutschen Kampftruppen abwarten müssen. Die Fallschirmjäger aus Seedorf in Niedersachsen, die ein Jahr lang maßgeblich an den militärischen Fortschritten in der Provinz gewirkt und dabei vier Soldaten bei Gefechten und Bombenanschlägen verloren haben, werden bis Ende Januar vom Fallschirmjägerbataillon 263 aus Zweibrücken in Rheinland-Pfalz abgelöst. Bis ein Infanterieverband kampfbereit ist, vergeht zirka ein Monat. Den Druck auf die Taliban will die ISAF dennoch aufrechterhalten. Vor allem die nächtlichen Aktionen der US-Spezialkräfte („Raids“) werden unvermindert fortgesetzt. Seit dem vergangenen Sommer jagen die Kommandos auch in Nordafghanistan unaufhörlich und gezielt lokale Führer der Taliban und IMU-Terroristen. Wie die ISAF gestern bestätigte, töteten amerikanische und afghanische Spezialkräfte an Silvester den Schattengouverneur von Kundus, Maulwi Bahadar. Bahadar soll über direkte Verbindungen zur Talibanführung in Pakistan verfügt haben. Er galt als Kopf eines lokalen Netzwerks zum Bau improvisierter Sprengsätze, konnte zunächst bei Gor Tapa entkommen, wurde aber in der folgenden Nacht gemeinsam mit mehreren weiteren Aufständischen gestellt und erschossen.

Die Bundeswehr wird in den kommenden Wochen weitere Fernspäher zur Feindaufklärung nach Afghanistan schicken. Diese Soldaten operieren, ähnlich dem KSK, auf sich gestellt im feindlichen Gebiet, um Informationen zu beschaffen, gehören in der Bundeswehr aber nicht in die Kategorie Spezialkräfte. Bislang operierten die Fernspäher nur sporadisch in Afghanistan. Ihr verstärkter Einsatz lässt nun darauf hindeuten, dass sich die Bundeswehr, wie es Generalmajor Fritz zuletzt formuliert hat, auf „ein entscheidendes Jahr“ am Hindukusch einstellt.