Vier Männer für die klare Kante

Wollen wir wetten, dass nach dem heute vorgelegten Bericht der Bundeswehr-Strukturkommission vor allem am erbittertsten darüber gestritten wird, ob es künftig diese Postkarte noch geben wird?

BMVg_Bonn_Postkarte

Es ist ein Vorschlag der Kommission unter dem Arbeitsagentur-Chef Frank-Jürgen Weise, das Bundesministerium der Verteidigung deutlich zu verkleinern – und das auf rund 1.500 Angehörige (zivil und militärisch) geschrumpfte Ressort in Berlin zusammenzuziehen. Schließlich sei nicht nachvollziehbar, warum ein kleineres Ministerium weiterhin auf zwei Standorte verteilt bleiben sollte. Das steht auch sinngemäß in dem Kommissionsbericht, den Weise heute Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg übergeben hat.

Das wird Ärger geben mit der Rheinland-Fraktion – und das Getöse wegen eines möglichen geordneten Rückzugs aus Bonn wird wahrscheinlich die anderen, viel entscheidenderen Punkte in dem Papier der Weise-Kommission (Weise selbst mag diesen Begriff gar nicht) übertönen.

Grundsätzlich sind nämlich die fünf Männer und eine Frau in der Kommission mit einer sehr scharfen Axt an die Führungsspitze des gesamten deutschen Streitkräfteapparats herangegangen. Bei allen früheren Reformbemühungen habe sich, sagt der frühere deutsche NATO-General Karl-Heinz Lather, das Ministerium selber nie ändern müssen : Im Kern arbeitet das noch so, wie ich das als junger Major 1980 kennengelernt habe. Und der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, Hans Heinrich Driftmann, formuliert noch ein bisschen drastischer: Die Geschichte mit dem Fisch und dem Kopf hat irgendwo ihre Berechtigung.

Deshalb setzt die Kommission oben an. Unter dem Minister (der bleibt natürlich) soll es einen Staatssekretär und einen Generalinspekteur mit erweiterten Kompetenzen geben – gleichberechtigt die zivile und die militärische Spitze des Ministeriums. Abteilungen und Stäbe werden radikal reduziert, ebenso die Führungskommandos. Die Inspekteure werden Befehlshaber ihrer Teilstreitkraft, gehören nicht mehr zum Ministerium – und sind faktisch Force Provider, Truppensteller für die Einsätze.

Der Umbau setzt sich durch alle zivilen und militärischen Dienststellen fort. Und natürlich bis zum Umfang der Bundeswehr: 180.000 Soldatinnen und Soldaten, davon 15.000 Freiwillige (nach einem fast schon revolutionären Vorschlag der Kommission auch Staatsbürger aus EU- und eventuell NATO-Mitgliedsländern), die bis zu 23 Monaten in den Streitkräften dienen. (Die Zahl 180.000, das sagen die Kommissionsmitglieder deutlich, ist eine politische Größe, die sich an der Bedeutung Deutschlands in Europa, an den Anforderungen zum Beispiel der NATO und nicht zuletzt an den Erwartungen des großen Verbündeten USA ausrichtet. Sie ist höher als die von Generalinspekteur Volker Wieker als Modell aufgeschriebene Truppenstärke 163.500 – aber die war ja genauso, wenn auch nach außen favorisiert vom Verteidigungsminister, eine ebenso politische Größe als Spielmaterial. Und ist von den großen Parteien ja praktisch schon als zu niedrig verworfen worden.)

15.000 Soldaten soll die Bundeswehr, so der Vorschlag, künftig durchhaltefähig in Auslandseinsätze schicken können. Das ist ein hoher Anspruch – derzeit tut sich schon die mit 250.000 Soldaten größere Truppe nicht ganz leicht, ständig 7.000 Männer und Frauen im Einsatz zu haben. Kleinere Bundeswehr, mehr Einsatzfähigkeit (was übrigens schon vor fast zehn Jahren mal das Credo eines NATO-Generalsekretärs war: Deployability, Deployability, Deployability).

Die Konzentration aufs Wesentliche macht, natürlich, vor den zivilen Dienstposten nicht halt. Das noch von Guttenbergs Vor-Vorgänger Peter Struck ausgegebene Ziel, deren Zahl von damals weit über 100.000 auf 75.000 zu verringern, ist bis heute nicht errecht – zurzeit sind es 82.000. Und künftig, so schlägt die Kommission vor, sollen es 50.000 zivile Stellen sein. Mit dem ganzen Abbau soll dann eine Reduzierung der Standorte um etwa ein Drittel einhergehen.

Nun ist das alles nicht Selbstzweck. die Bundeswehr, sagt Driftmann, ist total unterfinanziert. Wäre sie ein Wirtschaftsunternehmen, wäre sie pleite. Deswegen sollte die deutsche Rüstungsindustrie, deren Kernfähigkeiten auch die Kommission weiter für wichtig hält, mehr Exportchancen bekommen – ein weiteres Wespennest, wenn es um die Lieferung bestimmter Waffensysteme an das eine oder andere interessierte Land geht.

Das alles sind Vorschläge, die dem Minister und vor allem seinem Staatssekretär Walther Otremba auf dem Tisch liegen – und bis Anfang kommenden Jahres bewertet, beurteilt und dann möglicherweise umgesetzt werden sollen. Manches dürfte verdammt schwierig sein – siehe den Streit oben um den Dienstsitz in Bonn, siehe den Rüstungsexport: da ist das Verteidigungsministerium nicht wirklich der Träger der Entscheidungen. Vieles ist eine Frage des Willens und der inneren Organisation – und in Teilen auch des Gesetzgebers. Zum Beispiel, wenn es darum geht, eine neue Beschaffungsagentur mit einem Budgetrecht auszustatten und von bisherigen Haushaltsverfahren zu effizienteren Strukturen zu kommen.

Interessant wird, wie bei einer möglichen Umsetzung der Kommissionsvorschläge die Entscheidungsgewalt in Verteidigungsministerium und Bundeswehr auf vier Posten konzentriert wird:

– den Minister, der wie bisher der Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt ist

– nur noch ein beamteter Staatssekretär, der die Verwaltung kontrolliert

– ein Generalinspekteur mit aufgewerteter Befehlsgewahlt – in der Tat ein Chief of Defense, dann wirklich oberster Soldat der Bundeswehr

– und für die Einsätze: der Befehlshaber des Einsatzführungskommandos. Eigentlich ein bisschen erstaunlich, dass auf diesen nach den Kommissionsvorschlägen deutlich herausgehobenen Posten keiner so richtig guckt. Der gehört zwar auch künftig nicht zum Ministerium, sondern wird – auf gleicher Ebene wie die Inspekteure (beziehungsweise künftig: Befehlshaber) der Teilstreitkräfte als nachgeordneter Bereich geplant. Doch die Kommission schreibt dazu: Der Befehlshaber des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr verantwortet die nationale operative Einsatzführung aller Einsätze der Bundeswehr und erarbeitet die Vorgaben für die Ausbildung der Ein­satzkontingente und inspiziert diese. Auf operativer Ebene bewertet er aus nationaler Sicht die multinatio­nale Operationsplanung und –durchführung. Er gewährleistet verzugslose Information und Beratung der strategischen Ebene. Zudem obliegt dem Befehlshaber die Einsatzauswertung. (Ganz nebenbei wird noch das Kommando Operative Führung Eingreifkräfte in Ulm aufgelöst – und dem Einsatzführungskommando zugeschlagen.)

Meine Vermutung: Diese vier Männer (derzeit, kann sich ja auch mal ändern) werden die entscheidende Führungsspitze der deutschen Streitkräfte in den kommenden Jahren bilden. Inspekteure einer Teilstreitkraft oder Abteilungsleiter im Ministerium werden dagegen viel weniger Bedeutung haben.

Ansonsten ist das – mit Anlagen – 112 Seiten starke Papier der Kommission eine Fundgrube für noch viele Einzelheiten. Aber für alles gilt: entscheidend wird die Umsetzung der Vorschläge. Und die politischen Entscheidungen, die sie möglich oder unmöglich machen.