Das Peter-Struck-Buch (2): Neuordnung der Bundeswehr

Peter Struck war lange Jahre Vorsitzender der SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag – und von 2002 bis 2005 Verteidigungsminister. Am (heutigen) Freitag stellt er seine politische Biographie, das Buch So läuft das vor – in dem seine Zeit an der Spitze des Wehr-Ressorts eine wichtige Rolle spielt.

Mit freundlicher Erlaubnis des Propyläen-Verlags (einer der Ullstein-Buchverlage) veröffentlicht Augen geradeaus! Auszüge aus dem Buch:

Neuausrichtung der Bundeswehr

Sosehr ich von der Richtigkeit der Neudefinition des Verteidigungsbegriffs überzeugt war, so sehr war mir auch klar, dass dies nur mit einer konsequenten Neuausrichtung der Bundeswehr ging. Sie war trotz mancher Vorarbeiten meiner Vorgänger immer noch die Armee, die darauf wartete, dass der Angriff des Warschauer Pakts erfolgte und abgewehrt werden müsste. Mental, personell und in der Ausrüstung hatte sie sich von diesem Stand des Kalten Krieges noch nicht allzu weit entfernt. An vielen Stellen fehlte der nötige frische Wind. Statt sich als geschlossene Armee zu verstehen, versuchten sich die einzelnen Waffengattungen gegeneinander auszuspielen. Es wurde zwar viel von vernetzten Operationen gesprochen, doch trotz dieser Bekenntnisse fehlte an vielen Stellen eine Gesamtschau. Teilweise waren es abstruse Argumente, mit denen die einzelnen Bereiche ihre Vorgärten zu erhalten versuchten. So hatte sich die Marine darauf versteift, sie brauche eigene Tornadogeschwader, weil die Piloten der Luftwaffe mit den Besonderheiten des Horizonts über der See nicht ausreichend vertraut seien.

Peter Struck auf dem Turm des U-Bootes U31 der Deutschen Marine vor Eckernförde

Ich weiß, dass ich die Inspekteure der Teilstreitkräfte bis zur Weißglut gereizt habe, als ich in Interviews hin und wieder erklärte, ich sei nicht bereit, Beschaffungen nach Art von Sandkastenspielen zu genehmigen, nach dem Motto: Wenn das Heer einen neuen Panzer bekommt, braucht die Luftwaffe einen neuen Flieger und die Marine wenigstens drei schöne Korvetten. Außerdem war die Bundeswehr mit rund 290000 Soldatinnen und Soldaten sowie mehr    als    100 000    Zivilangestellten    hoffnungslos    überdimensioniert und längst unbezahlbar. In den Beständen des Heeres lagerten noch Tausende Leopard-Panzer aus Zeiten des Kalten Krieges, die durch die völlig andersgearteten Bedingungen bei Auslandseinsätzen weitgehend überflüssig geworden waren. Sie waren Relikte aus jener Zeit, als man noch von Verteidigungseinsätzen gegen den Warschauer Pakt auf deutschem Boden ausging. Es fehlten statt dessen geschützte und gesicherte Geländewagen, wie sie für Auslandseinsätze unerlässlich waren.

Über viele Beschaffungsentscheidungen meiner Vorgänger konnte ich nur unglücklich sein, denn die Geräte waren für die Bundeswehr der Zukunft entweder nicht mehr brauchbar oder nicht mehr bezahlbar. Die Bestellung beispielsweise von 180 Eurofightern, die noch mein Vorvorgänger Volker Rühe entschieden hatte, hätte ich liebend gern reduziert. Aber die Verträge mit den Partnerstaaten Großbritannien, Italien und Spanien sowie mit dem Produktionskonsortium EADS sahen vor, dass bei Nichtabnahme Konventionalstrafen in exakt der Höhe der vereinbarten Kaufpreise zu zahlen seien. Manchmal erinnerte mich das extensive Ausgabeverhalten meiner Vorgänger an eine in Bundeswehrkreisen immer wieder gern erzählte Anekdote von der Amtsübergabe Georg Lebers an Hans Apel 1978. »Hans«, soll der wegen einer Spionagegeschichte in seinem Vorzimmer ausgeschiedene Leber zu Apel gesagt haben, »es ist alles bestellt, du musst nur noch bezahlen.«

Hätte ich nicht radikal in schon geplante Beschaffungen eingegriffen und sie gestoppt, wäre die Bundeswehr für Aufgaben ausgerüstet worden, die sie in ferner Vergangenheit, nicht aber in ihrer Zukunft als Armee im Ein- satz hätte lösen müssen. So hatte die Bundeswehr noch die Anschaffung von mehr als 10000 ungeschützten Groß-Lastwagen in Auftrag, wie sie zum Transport bei der klassischen Landesverteidigung notwendig wären, während es an wendigen geschützten Fahrzeugen für Auslandseinsätze fehlte.

Es war für die Streitkräfte ein Schock, als ich den für Rüstungsaufgaben zuständigen Staatssekretär Peter Eickenboom damit beginnen ließ, Rüstungsvorhaben auf Nutzen und Finanzierbarkeit zu überprüfen, wohl wissend, dass es gar keine andere Möglichkeit gab, weil sich die Bundeswehr auf Jahrzehnte hinaus auf Einkäufe festgelegt hatte, die erstens nicht zu finanzieren waren und die zweitens für Anforderungen der Zukunft nicht den ge- ringsten Spielraum gelassen hätten. Ich musste versuchen, das Finanzkorsett des Verteidigungsministeriums von einer geschönten auf eine realistische Grundlage zu stellen.

Dabei war Generalinspekteur Schneiderhan ein unerlässlicher Unterstützer. Er hatte die schwierige Aufgabe, die Inspekteure der Teilstreitkräfte mit ins Boot zu nehmen. Nicht an jeder Stelle gelang das. Der damalige Inspekteur des Heeres, General Gert Gudera, wollte nicht verstehen, dass die Einsparungen beim Heer nominell am höchsten waren. Das ließ sich jedoch nicht vermeiden, weil das Heer als größte Teilstreitkraft selbstverständlich auch das größte Einsparvolumen hatte. Es kam zu Spannungen, so dass Gudera den Ruhestand vorzog.

Die Meinungsverschiedenheit mit Gudera war zum Glück die einzige größere Unwucht im schwierigen Prozess der Neuausrichtung. Das war nicht zuletzt das Verdienst Schneiderhans, der allseits für die Umwandlung in der Bundeswehr warb. Seine Glaubwürdigkeit und seine hohe Akzeptanz bei der Truppe waren wichtige Garanten für die größte Reform in der Bundeswehrgeschichte. Dass die Operation gelingen konnte, lag aber auch an der äußerst vertrauensvollen Zusammenarbeit des gesamten Kollegiums, der Leitungsrunde des Ministeriums. Diese bestand aus den Parlamentarischen Staatssekretären Walter Kolbow und Hans Georg Wagner, den beamteten Staatssekretären Klaus-Günther Biederbick und Peter Eickenboom, dem
Generalinspekteur, dem Leiter des Planungsstabes Franz H. U. Borkenhagen, der Leiterin des Ministerbüros Birgitt Heidinger, den Adjutanten Oberst Erhard Bühler und später Oberst Lutz Niemann, der persönlichen Referentin Rosemarie Schusser, dem Leiter des Pressestabes Norbert Bicher und mir. In mehreren Klausurtagungen haben wir in den Jahren 2003 und 2004 das Konzept vorbereitet und in offenen, ergebnisorientierten Diskussionen zum Erfolg geführt.

Das größte Hindernis, das wir zu überwinden hatten, war die Verkleinerung der Bundeswehr auf 245 000 Soldaten und eine Absenkung der Zivilangestellten von über 100000 auf 75000. Verbunden war das mit der Schließung von mehr als 100 Standorten. Ich wusste, dass mir dies in der ganzen Republik bei Landes- und Kommunalpolitikern und bei den betroffenen Wahlkreisabgeordneten einen Riesenärger einbringen würde, zumal erst kurze Zeit zuvor mein Vorgänger Scharping ein Kürzungspaket teilweise durchgesetzt und den Eindruck vermittelt hatte, damit wäre wenigstens mittelfristig Ruhe an dieser Front. Es war eine Meisterleistung des Ministeriums, die Pläne bis zum Schluss unter der Decke zu halten, allen betroffenen Stellen dennoch das Gefühl zu geben, einbezogen zu sein und vor allem der Truppe die Gewissheit zu vermitteln, dass die Entscheidungen nach objektiven Gesichtspunkten und nicht willkürlich getroffen worden seien.

Ich war also in meinem Ressort gut mit Arbeit eingedeckt, so dass ich zeitweise nur begrenzt Einblick hatte in das Gesamtspektrum der Koalition. Manchmal war ich darüber froh, aber ebenso oft vermisste ich es, bei allen Themen ein Wörtchen mitreden zu können, so wie ich es zuvor als Fraktionsvorsitzender hatte tun können.